Politischer und historischer Hintergrund von Venezuela

 

Früher war Venezuela eins der reichsten Länder der Welt. Heute ist Venezuela eines der ärmsten Länder weltweit und steht kurz vor dem Staatsbankrott. Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen, die historisch ihresgleichen sucht? Seit 2014 sahen sich mehrere Millionen Venezolaner gezwungen das Land zu verlassen. Die venezolanische Diaspora ist die größte in Lateinamerika und steht heute weltweit an 2. Stelle, direkt hinter der von Syrien.

Nach der umstrittenen Wiederwahl des Sozialisten Nicolás Maduro im Jahr 2018, erklärte sich der Oppositionsführer und Präsident der Nationalversammlung Juan Guiadó Anfang 2019 selbst zum Interimspräsidenten Venezuelas. Der Machtkampf in Venezuela lässt nicht nur national, sondern auch international zwischen den Supermächten Fronten entstehen. Die Vereinigten Staaten unterstützen Guiadó, während China, Russland und Cuba Maduro unterstützen.

 

Venezuela sitzt auf dem größten Ölvorkommen der Welt und war seit Anfang des letzten Jahrhunderts eines der reichsten Länder Südamerikas. Anders als seine Nachbarländer erfreute sich Venezuela ab Ende der 50er Jahre einer relativ stabilen Demokratie. Als wichtiger Öllieferant der Vereinigten Staaten, deren Firmen 1960 in Venezuela erste Bohrungen machten, gehörte Venezuela zu den Gründungsländern der OPEC (Organization of Petroleum Exporting Countries). Damals produzierte Venezuela über 10% des weltweiten Öls und sein Bruttoinlandsprodukt entsprach fast dem der Vereinigten Staaten. Venezuelas größte natürliche Ressource wurde zu dieser Zeit im Wesentlichen von Fremden kontrolliert, meist amerikanischen und britischen Unternehmen. Um den steigenden Einfluss ausländischer Konzerne einzudämmen, wurde 1976 die Erdölgesellschaft PDVSA (Petróleos de Venezuela S.A.) gegründet und das venezolanische Öl verstaatlicht. Ab den 80er Jahren endete das venezolanische Wirtschaftswunder. Der Zusammenbruch des Rohölpreises der 76% der venezolanischen Exporte ausmachte, zwang Präsident Pérez zu einer neoliberalen Reform, die eine Welle der Gewalt auslöste.

1998 gewann Hugo Chávez mit dem Versprechen einer sozialistischen Revolution die Präsidentschaftswahl. Chávez trat mit einem humanitären, volksnahen Ansatz auf, der die Menschen ansprach. Er gab denjenigen eine Stimme, die bisher unsichtbar und benachteiligt waren. Chávez erfreute sich aufgrund seines Charismas sowohl nationaler als auch internationaler Popularität. Chávez versprach ein neues Wirtschafsmodell, welches als sogenannte Bolivarische Revolution, die Gesellschaft nach dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts ausrichten und dabei das politische Leben neugestalten sollte. Sein Charme konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass all seine Fürsorgeprogramme von kostenloser Gesundheitsvorsorge bis hin zur Subventionierung von Lebensmitteln für Millionen von Venezolanern, vollständig vom Öl finanziert waren. Chávez Problem war, dass er auf eine Strategie der hohen Ölabhängigkeit zurückgriff, als der Ölpreis Anfang der 2000er Jahre zu steigen begann. Diese Strategie funktionierte sehr gut, solange der Ölpreis hoch war. Allerdings wurde Nichts von den Einnahmen zur Seite gelegt für Zeiten in denen der Ölpreis niedrig sein würde. In der 2010er Jahren kollabierte der weltweite Ölpreis und stürzte Venezuela in eine schwere Krise, geprägt von Hyperinflation, Versorgungsengpässen und Hungersnöten mit einer Armutsquote, die ab 2014 über 50 Prozent stieg, im Jahr 2016 rund 80 Prozent und bis Ende 2018 90 Prozent erreichte. Die große Tragödie besteht darin, dass Chávez mit der Ölabhängigkeit auf eine alte Strategie zurückgriff, die in Venezuela schon oft versagt hatte.

Am 5. März 2013 starb Hugo Chávez. Der Tod von Chávez und das Ende der Bolivarischen Revolution waren der symbolische Abschluss von zwei Jahrzehnten linker Regierungen. Zeitgleich Begann mit der Wahl von Maduro zum Präsidenten eine neue, schwierige Zeit für Venezuela. Chávez Vermächtnis an Maduro war ziemlich kompliziert, Maduro musste radikale Maßnahmen ergreifen, um zumindest einige der Errungenschaften zu bewahren. Nicolás Maduro, ehemaliger Busfahrer, Leibwächter und Gewerkschafter, der sein ganzes Leben in der Politik verbracht hatte, war der treueste Verbündete von Hugo Chávez. Dennoch wurde er im April 2013 nur mit einem knappen Vorsprung Wahlsieger und Präsident. Das Erbe, welches er antrat, war gewaltig: Die Bolivarische Revolution am Leben erhalten und das Chaos beseitigen, in dem das Land versiegt. Man hoffte das Maduro die Wirtschaft liberalisieren würde, was aber nicht geschah.

Das Ergebnis bei den Parlamentswahlen 2015 war, dass Maduro und die sozialistische Partei seit 16 Jahren zum ersten Mal besiegt wurden. Um das Parlament zu umgehen berief Maduro im Sommer 2017 eine nationale verfassungsgebende Versammlung ein. Offizielles Ziel war es die Verfassung neu zu schreiben, de facto handelte es sich aber um ein zweites Parlament, das der Nationalversammlung, dem eigentlichen Parlament, die Befugnisse entzog. Die Folge war eine Zerlegung des Staates mit wirtschaftlichem Absturz historischen Ausmaßes, welche nur noch vergleichbar ist mit wirtschaftlichen Abstürzen von Ländern wie Syrien, die durch einen Bürgerkrieg zerrissen werden. Die Katastrophe in Venezuela erweiterte sich zu einem epischen Ausmaß. Bei den Präsidentschaftswahlen 2018, die von der Opposition boykottiert wurden und eine geringe Wahlbeteiligung hatten, wurde Maduro für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. Die Nationalversammlung verweigerte Maduro aber die Anerkennung als rechtmäßiger Präsident. Gestützt auf dem Artikel 233 der venezolanischen Verfassung beanspruchte Guiadó das Amt des Staatschefs für sich. Dennoch wurde Maduro am 2. Januar 2019 für eine zweite Amtszeit vereidigt. Nur wenige Tage später legte Guiadó auch den Eid als amtierender Präsident ab. Venezuela war das einzige Land der Welt mit zwei Präsidenten und zwei Parlamenten. Guiadó rief die sozialen und politischen Gruppierungen auf sich zusammen zu schließen, um eine einheitliche Front im Kampf für Demokratie und Freiheit zu bilden. Es kam zu politischen Krawallen und blutigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Zur Eskalation der Venezuelakrise hatte Experten zufolge auch die Wirtschaftsblockade durch die USA beigetragen. Die USA verhängten Wirtschaftssanktionen zuerst unter Präsident Obama vornehmlich gegen Einzelpersonen, welche anschließend durch Präsident Trump gegen den Finanzsektor und dann 2019 gegen den Öl- und Energiesektor erweitert wurden. Ob Sanktionen dabei immer die Richtigen trafen, ist äußert fragwürdig. Laut US-Ökonomen hatten alle Sanktionen seit August 2017 einen starken Einfluss auf das Leben und die Gesundheit der venezolanischen Bevölkerung. Die Sterblichkeit stieg von 2017 auf 2018 um 31%. Zudem waren in diesem Zeitraum über 300.000 Menschen gesundheitlich bedroht, da sie keinen Zugang zu Medikamenten und Behandlungen hatten. Was erhofften sich die USA durch eins auf den ersten Blick so unspezifischen Sanktionsystems?  Die Maßnahmen sollten das Land in die Knie zwingen und in ein solches Chaos stürzen, dass sich das ganze Volk gegen Maduro erhebt.

30 Jahre nach dem Fall des Ostblocks erlebte Venezuela die Rückkehr eines neuen kalten Krieges. Die Anerkennung des prowestlichen Guiadó als Interimspräsident durch die USA, während Russland an Präsident Maduro festhielt, machte Venezuela zu einem internationalen Spielball. Es entstand eine weltweite Blockbildung zwischen der Anerkennung von Guiadó versus der von Maduro. Russland, China und Cuba gehören zu den Ländern, die großes Interesse an der Unterstützung von Maduro hatten. Russland zum Beispiel hatte nicht nur wirtschaftliche Interessen in Venezuela, sondern erhoffte sich hier eine politische Einflussnahme auf Washington zum Beispiel bei der Ukrainekrise. China hat finanziell enorm in Venezuela investiert, ein Regierungswechsel könnte sich hier nachteilig auswirken. Venezuela schuldet China Milliarden von Dollar. China ist besonders an den Ölvorkommen interessiert, es handelt sich hier um einen ernsten Wettstreit um fossile Energien. Aus US-amerikanischer Sicht ist die zunehmende Einflussnahme von China in gesamt Lateinamerika eine Gefahr. Venezuela hat im Vergleich zu den anderen lateinamerikanischen Ländern eine besondere Stellung einmal durch sein Ölvorkommen und außerdem durch die Nähe zu den USA. Die hochkomplexe Situation vor Ort, die Vielzahl von Akteuren und Interessenlagen hat jedoch einen Vorteil – das Risiko einer militärischen Eskalation ist eher gering.

Der Machtkampf im Land selber ging im April 2019 in die nächste Runde. Interimspräsident Guiadó startet die „Operación Libertad“, hierbei sollte sich die Armee gegen Maduro erheben. Das Militär ist für Maduro ein stabilisierender Machtfaktor. Der Putschversuch scheiterte, weil das Militär nicht desertierte. Das Ganze schien eher eine Medieninszenierung gewesen zu sein, als ein Schritt hin zu einem Regimewechsel. Die Vereinigten Staaten hatten sich verkalkuliert und Guiadó benutzen lassen. Maduros‘ Erfolgsrezept besteht daraus, dass ein Viertel aller Ministerien von Militärs besetzt sind. Das Militär ist der wichtigste Akteur im Land und Maduros‘ Macht hängt vollständig von ihm ab. Das Militär hat es geschafft in allen Bereichen der Wirtschaft mitzumischen, von der nationalen Ölgesellschaft PDVSA, über den Bergbau, bis hin zur Lebensmittelverteilung. Um die Unterstützung der Streitkräfte zu behalten, vor allem der Nationalgarde, welche eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der sozialen Kontrolle spielt, beschloss Maduro ihnen die Kontrolle über den Ölsektor zu geben, damit sie loyal bleiben. Doch Korruption und der Verfall der Ölförderanlagen haben die Ölproduktion einbrechen lassen. Die Regierung bindet Streitkräfte und die Polizei an sich, indem sie Korruption im öffentlichen Sektor zulässt. Mitglieder des öffentlichen Sektors und der Streitkräfte profitieren von allem, was aus Drogenhandel, illegalem Bergbau, Schmuggel nach Kolumbien etc. stammt. Neben Militär und Sicherheitsdiensten gehört auch ein gut funktionierender Geheimdienst zu Maduros Machtbasis.

Ende 2022 hat die Opposition Interimspräsident Guaidó abgewählt, um sich für die Präsidentschaftswahlen 2024 neu aufzustellen.

 

Wie kann das Patt zwischen Regierung und Opposition und das Leiden der Bevölkerung beendet werden? Mehrere internationale Vermittlungsversuche schlugen bereits fehl. Und wie wird es für Venezuela weitergehen? Venezuelas wahres Problem ist die Misswirtschaft des Ölreichtums und das hat sich mit dem Chavismus nicht geändert. Die gegenwärtige politische Klasse, sowohl die Opposition, als auch die Chavisten, geben keine Signale irgendetwas zu verändern. Venezuelas Herausforderung besteht darin, dass es keine handfesten politischen Lösungen gegeben hat, weder von Maduro noch von Guiadó. Es muss ein Dialog stattfinden. Und dieser muss unterstützt werden von allen sich in Venezuela einmischenden Akteuren. Solange befindet sich das Ringen um die politische Macht in einer Sackgasse.

 

Quelle: https://www.zdf.de/dokumentation/zdfinfo-doku, Venezuela- Wie man einen Staat zugrunde richtet

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